Der Antitatort

Jetzt ist mir „Die Zeit“ zuvorgekommen, mit einem Beitrag zum Brenner. Drei Seiten Interview mit Wolf Haas zum Thema: „Warum lieben wir Krimis?“ Wolf Haas hat eine Antwort parat. Er führt Steven Pinker mit der These an, dass Gewalt in unserer vergleichsweise gewaltfreien Gesellschaft virtuell zelebriert werde, damit uns nicht „fad im Schädel“ wird. Das unterschreiben wir sofort, aber der Brenner bedeutet uns noch viel mehr.
Ich habe Wolf Haas entdeckt als es vier Brenner-Romane gab. Da bekam ich den ersten zum Geburtstag geschenkt und meine Freundin Andrea sagte: „Oh du Glückliche, jetzt hast du die alle noch vor dir.“ Und alle vier waren ein Genuss. Den Brenner verschlägt es in unterschiedliche Milieus, die zunächst durchaus positiv daherkommen: das winterliche Zell am See, eine Hähnchenbraterei in der Steiermark, die Organisationen der Rettungswagenfahrer in Wien und eine Klosterschule in Salzburg. Doch dann passiert immer etwas: BrennerZwei Leichen sitzen erfroren im Lift, Menschenknochen werden zwischen Hühnerknochen entdeckt, der Chef der Blutbank und seine Freundin werden gleichzeitig beim Kuss durch eine einzige Kugel dahingerafft und im angesehenen Knabeninternat machen Missbrauchsgerüchte die Runde. Die Idylle wird gestört, ihrer Lieblichkeit, des zünftigen Genusses, aller hehren Ziele und moralischen Werte entkleidet und der Brenner muss das wieder richten. Dabei wird er vom Erzähler beobachtet, der sein Verhalten in dieser süchtig machenden, Verben durch Andeutungen ersetzenden Sprache für uns kommentiert. Und wir wissen gar nicht, wen wir lieber um uns haben, den Brenner oder den, der von ihm erzählt. Die Welt in ihrer Schrägheit und komischen Absurdität über Bande erzählen, in einem Sprachduktus, der so tut, als sei er österreichisch, in einem Roman, der so tut, als sei er ein Krimi, aber dann in Wirklichkeit als Antikrimi, Antitatort quasi, das Genre überführt, das ist das, was wir am Brenner lieben.

Über Greta

Greta Buchholz studierte Theaterwissenschaft, Psychologie und Germanistik an der FreienUniversität Berlin. Ich interessiere mich besonders für Fiktionsbiografien, dafür, wer in welcher Lebenssituation welche Geschichten bevorzugt und auf welche Weise Fiktion unser Leben bereichert.
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