Dass das mit den Zukunftsvisionen auch anders geht, selbst wenn sie negativ sind, zeigt der Roman „Cloud Atlas“ von David Mitchell (2004), der auf geniale Weise von Tom Tykwer und den Wachowski Geschwistern 2012 verfilmt wurde. Er spannt einen zeitlichen Bogen über fast 1000 Jahre von 1649 bis in die Zukunft des Jahres 2321 und besteht aus 6 einzelnen, in ganz unterschiedlichen literarischen Gattungen geschriebenen Geschichten, die durch zahlreiche Verweise und die Idee der Reinkarnation miteinander verbunden sind. Buch und Film sind jedes auf seine Art komplex und inspirierend.
Die Unterschiede zwischen Film und Buch erklärt der Autor in seinem Artikel „Translating ‚Cloud Atlas‘ Into the Language of Film“ (Wall Street Journal 2012). Doch beide Medien bedienen sich einer aufgebrochenen Erzählstruktur: im Roman ein symmetrischer Bogen aus halben Geschichten, im Film ein buntes Mosaik aus Szenen, gerade lang genug, um sie in den jeweiligen Erzählsträngen zu verorten. Die Brüche, die dadurch entstehen, rücken das Erzählte in die Nähe unseres alltäglichen Mischmascherlebens von Realität und Fiktion. Und Film und Buch liefern gleich mit, wonach wir immer suchen: eine Ahnung vom Sinn des ganzen Durcheinanders. Alle Leben sind miteinander verwoben, Handlungen in einer Zeitebene haben Konsequenzen in den folgenden, Menschen, die gestorben sind, sind damit nicht einfach verschwunden. Die Zusammenhänge zeigen sich auf vielfältige Weise und auf unterschiedlichen Ebenen, so dass die reiche Handlung nicht in eine eindimensionale Botschaft mündet. Allen Episoden gemeinsam sind die Auseinandersetzung mit persönlichen oder globale Katastrophen und das Thema Freiheit versus Gefangenschaft. Das klingt ernst, aber Buch und Film haben trotz negativer Zukunftsvisionen etwas Tröstliches: für viele der Protagonisten geht ihre Geschichte gut aus, manchmal nicht zu ihren Lebzeiten, aber insgesamt dann doch. Hier sei mir der Vergleich mit dem neuen Testament erlaubt, das wir ja insgesamt auch als hoffnungsspendende Schrift erleben.
Fazit: „Cloud Atlas „(„Der Wolkenatlas“) lohnt sich, wenn die Seele auf Wanderschaft durch die Jahrhunderte gehen und dabei über den Sinn von allem nachdenken und staunen will.
Was meinst du wohl mein Herz, ist alles verbunden? Miteinander verwoben? Die ganze Welt ein geknüpftes Netz aus Früher, Jetzt und Später? Oder ist alles eine Sosse? Ein Weltenmatsch? Was meinst du, mein Herz?
Der Wolkenatlas handelt davon, wie es ist, in der Fremde zu sein und davon, den Weg nach Hause zu finden. Ich habe das Buch auf Kuba gelesen, den Film auch dort gesehen. Das Buch wollte ich nicht wieder fortlegen, ich fühlte mich einsam ohne es. Am Ende des Filmes habe ich noch 15 Minuten über den Abspann hinaus geweint. Warum? Das wusste ich da noch nicht.
Es gibt Bücher aus deren Seiten blinzelt man sich selbst entgegen, Melodien, in denen man die eigene Stimme hört. Und am gleichen Tag schaut man in den Spiegel und erkennt sich nicht.
Ich bin durch das Fenster im Wolkenatlas auf einen Alpenwanderweg gestiegen. Ausgerechnet ein Bergweg führt einen Flachlandindianer in die Seelenheimat.
Fast zwei Jahre später halte ich mein Zuhause in den Armen. Im Wolkenatlas-Sextett höre ich mich noch, im Spiegel sehe ich mich gar nicht. Wenn ich runter schaue, erkenne ich mich eindeutig.