Vincent hatte es im Spieleschrank entdeckt und mit auf die Silvesterparty gebracht: Ubongo 3D. Er setzte sich still damit aufs Sofa und begann eins von den Puzzles zusammenzusetzen oder es zumindest zu versuchen. Der Erste fragte: „Was machst du da?“ und versuchte auch so eins. Binnen kurzem, waren alle mit Puzzeln beschäftigt bis auf den Koch und seine treue Küchenhilfe und sie hörten für die nächsten Stunden nicht wieder auf. Silvester hin, Silvester her. Die Verführung liegt darin, dass es so leicht aussieht. 3 oder 4 Teile und einfache Formen, die aus Kuben zusammengesetzt werden. Du denkst, das mach ich mit links. Mit links ist ist vielleicht auch gar nicht der verkehrte Ansatz. Der Thrill ist die relativ kurze Spieldauer bis der Erfolg einsetzt. In der Regel braucht man nur wenige Minuten und erhält dann etwas Glattes, Kompaktes, Zweistöckiges auf einer Grundfläche von 7 bis 8 Quadraten. Die einzelnen eher komplexen Tetris 3D Teile fügen sich in ein einfaches Muster, das liebt das Gehirn. Da schüttet es Glück aus. Und um die Lösung zu finden, auf dem Weg zum Glück, muss man sein Denken weit machen, muss logische Strukturen mit kreativen Ansätzen verbinden. „Ich mach das jetzt mal ganz anders“, ist der Schlüssel, meistens jedenfalls. Wenn das nicht funktioniert, wird das Finden der Lösung vorübergehend zum Lebensinhalt.
Ich frage mich: was hat das mit Fiktion zu tun? Suche wieder Muster. Beide Tätigkeiten, das Surfen in fiktionalen Welten und Ubongo geschehen zum Vergnügen, verändert nichts an der realen Welt und bei beidem spielt die Sucht des Gehirns nach Mustern eine Rolle. Bei Geschichten sind es vertraute dramaturgische Muster, denen die Mehrzahl der Geschichten folgt. Das Bilden dieser Muster aus den Fragmenten des Lebens, ist das, was in Geschichten passiert und was für uns Genregeschichten wie Kriminal- oder Liebesromane, aber auch dramatische Formen wie Komödie oder Tragödie und Kinogenres wie die romantische Komödie, den Katastrophenfilm oder Western so attraktiv macht.
Unsere Suche nach sinnvollen Mustern hätte uns fast den Beginn des neuen, komplexen, bislang noch recht unübersichtlichen Jahres verpassen lassen. Wir schafften es gerade noch, mit einer Flasche Sekt und den Wunderkerzen hinaus in die Schweizer Bergwelt, wo wir unter sternenbeglänztem Himmel das Jahr 2015 begrüssten.
Fazit: Ubongo 3D hilft dabei, alles rundherum zu vergessen, nichtspielende Angehörige ernsthaft zu verärgern und hilft darüber hinaus bei Bedarf nach Glückshormonen im 5 Minuten Takt.
Tod dem Lieblingsspiel der Unkommunikativen!
Ist es so, dass tatsächlich das Gehirn Muster so sehr liebt, dass es sich wohl fühlt, sobald man es mit dem Finden und Erkennen ebensolcher beauftragt?
Muster in Geschichten machen mich zufrieden, lassen mich mich zuhause fühlen, wohlaufgehoben und ich finde es aufregend, wenn eine Geschichte von den üblichen Erzählpfaden abweicht. Meine regelmässige Reaktion reicht von: „Wie wunderbar, das zu lesen macht richtig glücklich!“, bis hin zu „Boah, sowas hab ich ja noch nie gelesen“.
Gar nicht glücklich macht mich allerdings das erkennen von Mustern in Rätseln, Geduldsspielen und dem vermaledeiten Ubongo. Das setzt mich unter Druck, macht mich erst nervös und dann latent aggressiv. Dann setzt die Verspannung zwischen den Schulterblättern ein. War schon beim Känguru-Test in der siebten Klasse so, hat sich seit dem nicht geändert. Wenn ich gezwungenermassen ein Geduldspiel gelöst habe, bin ich nur noch erleichtert und weise alle weiteren weit von mir.
Insgeheim glaube ich, geht es eigentlich allen so. Ich beobachte seit Jahren, wie ein gewisses Familienmitglied beim Neuerwerb eines Knobelspiels in stunden- bis wochenlanges Schweigen verfällt. Die Stirne in tiefe Falten legt und gutgemeinte Rettungsversuche entschieden zurückweist. (Möchtest du nicht auch was essen? Nein!) Sie sieht dabei eigentlich gar nicht so glücklich aus, wie sie immer behauptet zu sein. Ob da fünf Minuten des Glücks am Ende rausspringen, kann ich nicht beurteilen.
Was ich wieder gut verstehen kann, ist, wie glücklich es einen macht, mieser Gesellschaft zu entgehen. Gibt nix Besseres. Ich mag eigentlich gar nicht mit so vielen Leuten reden, die einzige wirklich felsenfest stehende, sich niemals ändernde Ausnahme ist meine Familie. Mit denen unterhalte ich mich immer gern oder hör ihnen einfach etwas zu, in meiner Familie reden alle meistens gleichzeitig, da fällt gar nicht so auf, ob man selber grad auch redet oder nicht. Und ausgerechnet diese heiss geliebte, laute Kommunikations- und Geschichtenmaschiene wurde durch Ubongo an Sylvester komplett lahm gelegt. Vollständig. Undurchdringliche Konzentration, absolute Stille. Kurzes Lärm-Crescendo beim Abendessen, da Ubongo nicht mit an den Tisch durfte, dann noch tiefere Stille.
Ich hab Nickerchen gemacht, die sahen alle furchtbar gestresst aus, in dieses Suchtmilieu wollte ich nicht hineingeraten. Treu an meiner Seite nur: mein kleiner Neffe (ist zu klein für Ubongo und war auch müde) und mein Papi (musste kochen und wurde dann nicht mehr an die Ubongo-Kiste rangelassen).
Mein Tipp für einen Abend bei Menschen, die man gar nicht mag: Klemmt euch so ein Ubongo Spiel unter den Arm, stellt es diskret auf den Kaffeetisch und sucht euch ein ruhiges Plätzchen für ein ausgedehntes Päuschen. Euch wird garantiert niemand stören.
Oooh – und ich muss hier immer bitten und betteln, bis sich mal jemand bequemt, die 2D-Variante mit mir zu spielen… Hier sind alle so Ubongo-unwillig, dass ich es vermutlich nie zur 3D-Version schaffen werde… 🙂
Das Ding auf dem Bild war echt schwer. Hat keiner von uns in der Zeit geschafft.