Das Leben ist kein Ponyhof

Am Samstagabend wird Oma ein kleines Pony in den Kindersitz geladen. Das will bei der Oma übernachten und am nächsten Tag Abenteuer mit ihr erleben. Aber die Abenteuer gehen schon gleich los. Es ist dunkel draußen und überall lauern Monster, die es zum Glück nicht ins Auto schaffen. Zuhause angekommen darf das kleine Pony ein Geschenk öffnen Drin ist ein kleiner Drachen, der fliegen und Feuer spucken kann. Das ist zu gefährlich für das kleine Pony, dass sich flugs auch in einen kleinen Drachen verwandelt, der im Sturzflug die Oma angreift. Mambo heißt der Drachen. Vor dem Einschlafen verwandelt sich Mambo noch in den kleinen Fuchs. Draußen im Garten könnte der große Fuchs lauern. Den hat die Oma da mal gesehen, das hat er sich gemerkt.Frühstücken darf die Oma am nächsten Morgen zusammen mit dem kleinen Tyrannosaurus Rex, der großen Hunger hat und Fisch und Wurst und Nutella möchte.Jetzt ist es Zeit für ein kleines Abenteuer, denkt die Oma und setzt den kleinen Tyrannosaurus hinten aufs Fahrrad. Aber nein, es ist das kleine Wildschwein, was da hinten im Fahrradsitz thront, es geht ja in den Wald, wo die andern Wildschweine wohnen, und die Oma soll bitte sicherheitshalber die grüne Jägerjacke anziehen und das Gewehr mitnehmen. Auf gehts! Im Wald finden sich tatsächlich viele Wildschweinspuren, die Wiese neben dem Weg ist praktisch umgegraben.Im Auto auf der Rückfahrt zu Mama und Papa sagt Littlefood dann noch: „Ich glaube, die Oma wollte keinen kleinen bösen Drachen einladen, der stand einfach vor der Tür, als sie die Tür aufgemacht hat.“ „Und was machen wir jetzt? Schicken wir ihn weg oder darf er dableiben?“ „Er darf dableiben,“ entscheidet das kleine Pony.Nach einigem Nachdenken sagt es dann noch: „Wenn ein böser Drache in die Sonne fliegt: megaheiß.“

Am Abend lese ich im Blog von Jonathan Gottschall einen Beitrag zur Frage, ob Gewaltdarstellung in Fiktion zu verstärkter Gewalt im normalen Leben führt. Er ist nicht der Meinung und führt unter anderem an, dass die Spiele von Kindern alles andere als gewaltfrei sind, was mir das Wochenende mit meinem Enkel soeben bestätigt hat. Es sieht so aus, als sei die beste Möglichkeit für ihn, mit den Gefahren da draußen umzugehen, sich in die Kindervariante der jeweiligen Bedrohung zu verwandeln. Eltern greifen ihre Kinder nicht an, da ist der kleine T-Rex auf der sicheren Seite. Was mich als Erwachsene allerdings erstaunt, ist das fast vollständige Fehlen von Moral und Mitleid, wenn es darum geht jemanden zu erschießen oder aufzufressen. Gottschall führt an, dass in fiktionaler Darstellung von Gewalt fast immer Moral eine Rolle spielt, und dass die Moral der Rezipienten wahrscheinlich dadurch gefestigt und bestärkt wird.

Vermutlich muss mein kleiner Drache noch durch ziemlich viele Geschichten, bis er sich dauerhaft auf die Seite der Guten schlagen kann.

Fazit: Sich in Tierkinder zu verwandeln hilft gegen Angst vor großen Tieren, so wie mit dem Inspektor zu wandeln gegen die Sorge hilft, von Kriminellen um Hab und Gut, Gesundheit oder Leben gebracht zu werden.

Über Greta

Greta Buchholz studierte Theaterwissenschaft, Psychologie und Germanistik an der FreienUniversität Berlin. Ich interessiere mich besonders für Fiktionsbiografien, dafür, wer in welcher Lebenssituation welche Geschichten bevorzugt und auf welche Weise Fiktion unser Leben bereichert.
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6 Antworten zu Das Leben ist kein Ponyhof

  1. Anonym sagt:

    Hallo,
    zu Moral scheint alles gesagt. Aber, was ich Dir nur schreiben wollte: Mir gefällt der Titel ausgesprochen gut. Er assoziiert etwas, was in Deinen Texten – insbesondere dem letzen – deutlich wird: Wie einfach es doch ist, zu schreiben. Der Alltag ist voll davon. Nur Zeit muss man sich nehmen.

    In Vorfreude auf neue Texte
    K.

  2. Pius sagt:

    Das Leben ist kein Ponyhof
    Eine sehr schöne Geschichte und wie sich die Oma Zeit nimmt für den kleinen Drachen. Und aus der Geschichte spürt man, dass die Kinder meistens bei den Stärksten dazugehörigen wollen, anderthalb sich im Alter meist auch nicht mehr, darum haben die grössten Parteien und besten Mannschaften am meisten Anhänger.

  3. Kaye sagt:

    Wann setzt das moralische Empfinden in der Entwicklungsgeschichte ein, ab welchem Alter empfindet ein kleiner Mensch Mitleid? Und was löst diesen Prozess aus, der uns vom Instinkttierchen zum verantwortungsvoll handelnden Menschen macht, was fördert ihn, treibt ihn voran?
    Nachdem ich deinen Blogbeitrag gelesen habe, habe ich einfach mal gefragt, in meinem unmittelbaren Umfeld, geeinigt würde sich auf zwei Ideen, die zu diskutieren wären:
    1. abgesehen von einem eventuell individuellen Zeitpunkt, zu dem sich das Gefühl von Mitleid auszuprägen beginnt, gibt es dann in der weiteren Entwicklung mehrere, ich nenne sie jetzt „Abstraktionsstufen“ der Moral und des Mitgefühls, die ein Mensch in seiner Lebenszeit erklimmen kann, oder auch nicht. Rückschritte gehen auch. So fangen die meisten Kinder bei einem einfachen Verbot an. Z.B.: Ich darf nicht beissen. Irgendwann verstehen sie auch warum, dann nämlich, wenn sie mal gebissen wurden. Das ist allerdings direktes Empfinden und Verstehen. Dann folgt vielleicht irgendwann das erste Mitgefühl, man leidet mit, wenn jemand, den man sehr liebt, leidet. Zum Beispiel die Mutter. Wenn die Mutter gebissen wird und dann traurig ist, wird man auch ganz traurig- eine einfache Form des Mitleids. Schwieriger wird es allerdings schon, wenn Menschen, die man nicht liebt und nicht kennt in fremden Ländern gebissen werden.
    Als ich vielleicht sechs Jahre alt war, hat meine Mutter gesagt, wir schnüren ein Weihnachtspaket für die armen Kinder. Wo, weiss ich nicht mehr, vielleicht in Rumänien oder irgendwo sonst in Osteuropa. Jedenfalls hatten wir so viele Kuscheltiere, da konnten wir den armen Kindern ruhig ein paar abgeben. Und einige bunte Schokokugeln dazu legen. Heute finde ich das super, die Kuscheltiere waren wie neu, weil wir eh nicht mit allen spielen konnten. Damals hab ich das überhaupt nicht super gefunden. Ich kannte die Kinder nichtmal, warum sollten die meine Kuscheltiere bekommen? Ich tat mir leid, weil ich etwas abgeben musste und die Kuscheltiere taten mir auch leid, weil sie in einer dunklen Kiste ins Ungewisse verschickt werden sollten. Mein kleiner Bruder tat mir auch leid, der wollte die Schokokugeln, durfte sie nicht essen und hat geweint. Mitleid war in diesem Alter scheinbar schon ein ausgeprägtes Gefühl in mir, allerdings noch nicht so abstrakt, dass es auf Unbekannte ausgedehnt wurde.

    Die zweite vertretene Meinung war: Kinder treten früher in den Prozess der Moralbildung und der Entwicklung eines Mitleidsempfinden ein, wenn sie Geschwister haben. Könnte mir vorstellen, dass das häufig so ist. Je ähnlicher einem ein Wesen ist, desto leichter assoziiert man sich mit ihm und ähnlicher als Geschwister es sind, wird man sich ja kaum. Zumindest, sobald Eifersucht und Konkurrenzgefahr überwunden sind.

    Worauf tatsächlich keiner meiner Befragten von alleine einging, waren Geschichten. Geschichten als Hilfe bei eben diesem schwierigen Prozess des Erwachsenwerdens. Bruno Bettelheim beschreibt in seinem Buch „Kinder brauchen Märchen“, in wieweit klassische Volksmärchen die Entwicklungsschritte und auch die Emanzipation in einer Kindesentwicklung wiedergeben. Weiter erklärt Bettelheim, dass eben diese Märchen zur Angstbewältigung und zur moralischen Bildung von Kindern massgeblich beitragen können, weil sie Ängsten eine körperliche Form, wie zum Beispiel einer Hexe, geben, symbolisch Lösungswege aufzeigen und, für ein gutes Märchen essenziell, den Guten ein gutes Ende bescheren. Auch Märchen sind voller Gewalt, aber eben, wie Gottschall es beschreibt, stets in Verbindung mit Moral.
    Mit den Bösen hat in Märchen allerdings auch niemand grosses Mitleid. Vielleicht brauchen Kinder zunächst eine klare Unterteilung in schwarz und weiss, gut und böse, ehe sie sich dann die weiteren Graustufen erarbeiten können. Mitleid mit dem Bösen zu haben ist dann vielleicht die (christlich angehauchte) Königsdisziplin.
    Sicher sind aber Geschichten, ebenso wie die Realität unserer Phantasie, ein sehr gutes Hilfsmittel um sich etwas so Wichtiges und oft Schwieriges wie Mitgefühl Schritt für Schritt zu erarbeiten.

    Und der liebe, böse, kleine Drache steckt mittendrin in dem Kampf mit den eigenen Dämonen. Zum Glück hat er eine so geschichtenversierte Oma an seiner Seite, da kann eigentlich nicht mehr viel schief gehen…

    • Greta sagt:

      Habe an diesem Wochenende zum ersten Mal Mitleid beim kleinen Drachen beobachtet: zuerst wurde der alte Bär ganz spontan mal ins Gefängnis , sprich Badezimmer, gesperrt und als ich dann erwähnte, vielleicht wäre er da drin traurig, so ganz allein, arbeitete es 5 Minuten lang im Drachenherzen und dann wurde der Bär wieder rausgeholt und mir wortlos in die Hand gedrückt. Aber ich glaube, es muss eins nach dem anderen bewältigt werden. Erstmal die Angst, damit überhaupt ein abgesicherter kleiner Zoobereich entstehen kann, von dem aus sich das Mitleid dann entfalten kann.

      • Kaye sagt:

        Das ist bestimmt ein Schlüssel zum Mitleid vor allem bei Kindern. Ein Kind, dass sich unsicher oder bedroht fühlt, kann sich Mitleid vielleicht gar nicht leisten, es steht im Konflikt mit dem kindlichen Selbsterhaltungstrieb.

        Bettelheim stellt ja interessanterweise, in Verbindung mit Sicherheit, den Sinn an die zentrale Stelle der Entwicklung, an der unter Anderem moralisches Denken und Mitleid entstehen. Er spricht davon, dass ein Mensch sich nur dann gesund entwickeln kann, wenn er einen Sinn im seinem eigenen Leben sieht und auch moralisches Verhalten wird nur solange an den Tag gelegt, wie die eigene Existenz als sinnreich empfunden wird.

        Weiter sagt Bettelheim, dass zum Erkennen des Sinnes im eigenen Leben, in der Kindesentwicklung die liebevolle Zuwendung von Bezugspersonen die zentrale Rolle spielt, wobei wir wieder bei der lieben Drachenoma sind, die nicht nur hilft Mambos Ängste zu bekämpfen, sondern offensichtlich auch die Retterin der eingesperrten Kuscheltiere ist.

  4. Interessantes Thema: kindliches Spiel und Gewalt! Da habe ich selbst in meiner Arbeit mit Kindern (vor allem in der Krebsklinik) viel damit zu tun. Eltern sind manchmal erschreckt über die Heftigkeit des Agierens ihres eigenen Kindes innerhalb von Phantasiegeschichten, ich lade dann zum Verständnis ein: er geht um das Erleben von eigener Wirkfähigkeit, von der Überwindung von Widersachern, vom Kampf für eine eigene sichere Position, vom Gesund-Werden! Und beim Entmachten bzw. Zerstören von Ängsten und Ohnmachtspositionen ist auch kein Mitleid angesagt

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