Wieder die „Zeit“, diesmal ein Artikel vom 22. Januar 2015 betitelt mit der Forderung: „Schönheit muss man lernen“. Es geht darum, ob in der Schule vornehmlich Nützliches: „Wie mache ich meine Steuererklärung?“ oder Schönes: „Die Kunst der Fuge“ gelernt werden sollte, oder ob nicht gar das Unnütze möglicherweise nützlich sei.
Der Schule längst entwachsen muss ich mein Bildungsprogramm selbst zusammenstellen. Ich will Schönheit lernen und nebenbei noch Italienisch, deshalb höre ich den Gattopardo in der italienischen Originalfassung im Auto, wunderbar gesprochen von Toni Servillo. Das ist schön aber auch recht anspruchsvoll, deshalb gibt es alternativ ein Kontrastprogramm: „Die Känguru Offenbarung“, das dritte („die Fortsetzung von der Fortsetzung“) Buch über das kommunistische Känguru, das eines Tages bei Marc-Uwe einzog.
Mit der Kombination beider Hörbücher je nach Stimmung, äußeren Umständen und Konzentrationsvermögen gelingt es mir, auf utilitaristische Weise Schönheit zu lernen nach der Prämisse: „Höre so, dass das größtmögliche Glück entsteht“.
„Was bedeutet das konkret?“, würde Marc-Uwe jetzt fragen. „Wenn ich müde in Dunkel und Dauerregen von der Arbeit nach Hause fahre und an dem Tag eine traurige Nachricht erhalten habe, brauche ich nicht auch noch die ausführlichen Betrachtungen zum Sterben und zur Schönheit des Todes von Don Fabrizio zu meinem Glück,“ sage ich, „die heb ich mir dann lieber für einen sonnigen, ausgeschlafenen Morgen auf“. Da schalte ich um in das asoziale Netzwerk auf Reisen, erfreue mich an klug gefälschten Zitaten, blöden Wetten, witzigen Dialogen und einem unverwüstlich weltverbessernden Känguru. Um dann wieder den Kopf frei zu haben für die detailverliebte Schilderung sizilianischer Paläste und Kunstschätze eingebettet in die Geschichte des Untergangs eines Adelsgeschlechtes.
Fazit: Gattoparden helfen beim Italienisch Lernen und beim Verständnis für die Bedeutung von höflichen Umgangsformen oder auch, wenn man nur einfach 10 Stunden schönes Italienisch hören will. Kommunistische Kängurus helfen gegen Weltschmerz, gegen „ist doch alles sinnlos“ und wenn man wissen will, wie gute Dialoge gehn.
Kennt ihr das, wenn man eine brilliante Idee hat und sie nicht sofort umsetzen kann, weil man erst noch dringend ein paar Überweisungen tätigen, die Steuererklärung machen, fertig studieren oder eine Familie gründen muss? Und schwupps, wird sie einem von jemand Wildfremdem geklaut. Mir geht das so und zwar mit den Geschichten mit Tier drinne. Jetzt kann man behaupten, dass sei das Gleiche, wie, nachdem die Relativitätstheorie schon veröffentlicht wurde, zu sagen: „Seht ihr, dass hab ich doch auch schon immer gedacht“, oder beim Besuch des Guggenheims eine Skulptur aus gestapelten Holzblöcken zu betrachten und zu sagen: „Na, das kann ich aber auch“. In meinem Falle stimmt es aber. Wirklich!
2007 ist mich Mulsipper, mein kameloider Mitbewohner, das erste Mal besuchen gekommen, bzw. habe ich ihn von Fjodor Fjodorwitsch, aus der schönen Mark Brandenburg, geerbt. Gefolgt wurde er von Ringo, der stillen Zimmerpflanze und Axminster, dem gefühlvollen Perserteppich. Ich kann heute nicht mehr sicher sagen, ob es sich bei diesen Begleitern um Fiktion oder Realität handelt, dafür lebe ich schon zu lange mit ihnen zusammen. Hätte ich allerdings die Geschichte aufgeschrieben, bevor ein Anderer das Genre „WG mit Tier“ unbrauchbar gemacht hat, hätte ein Kapitel vielleicht so begonnen:
Ich öffne die Haustüre und Treppenhaus riecht es beeindruckend stark nach Kamel. Wissend, das dies nichts Gutes bedeuten kann, eile ich die Treppe nach oben zu unserer Wohnung. Eigentlich weiss Mulsipper genau, dass er nicht zu lange im Treppenhaus rumstehen soll, der Geruch stört die Nachbarn. Tatsächlich wartet das Kamel vor der offenen Wohnungstür. Für ein Trampeltier bringt es einen erstaunlich vorwurfsvollen Gesichtsausdruck zustande.
„Mulsipper, Alter Knabe, wo drückt der Schuh?“, frage ich betont schwungvoll um die bleierne Stimmung, die von meinem paarhufigen Freund ausgeht, zu lockern. Aus der Wohnung ertönt fröhliches Quitschen, Gott sei Dank, mein Baby lebt noch, daran kann Mulsippers miese Laune also nicht liegen. Da er nicht antwortet, sondern nur seinen Gesichtsausdruck Richtung Empörung modifiziert, drücke ich mich an ihm vorbei in die Wohnung. Auf den ersten Blick sieht alles prima aus: Baby-Baby sitzt fröhlich in ihrem Hochstuhl und verteilt begeistert ihren Erbsen-Möhren-Pampf auf dem Tisch und in ihren flusigen Federhaaren, die Küche ist aufgeräumt, es riecht nicht angebrannt und es sind keine grösseren Wasserrohrbrüche oder Ähnliches zu sehen. Mulsipper ist hinter mir in die Wohnung marschiert und hat die Tür zugeknallt. Ich gebe meinem Baby einen Kuss, während sie versucht, auch in meinen Haaren etwas Pampf unterzubringen.
„Wo ist denn dein Papa?“, frage ich, plötzlich realisierend, dass etwas Wichtiges in dem Szenario fehlt.
„Daggel, Daggel-Albich“, gluckst das Baby gutgelaunt. Fragend drehe ich mich zu Mulsipper um. Sein Gesicht scheint zu sagen: „Da, genau da ist das Problem!“ und er winkt mit dem Kopf Richtung Balkon.
In diesem Moment geht die Balkontüre auf und ein strahlender Ehemann tritt mir entgegen. Hinter ihm im Halbdunkel kann ich etwas Puscheliges ausmachen, etwa von der Grösse einer Ziege. Mir schwant, was es mit „Daggel-Albich“ auf sich haben könnte. Ich drängle mich an meinem selig lächelnden Ehemann vorbei und stehe vor, nun ja, vor etwas, das aussieht wie ein kleinwüchsiges Lama.
„Was bitte ist das?“, frage ich etwas entgeistert.
„Das ist mein Pferd“, strahlt mein offensichtlich übergeschnappter Ehegatte. „Ich habe es Dackel Albrecht getauft“.
„Ah. Aha.“
Hinter mir schnaubt Mulsipper verächtlich.
„Ähm, Liebster, ich glaube, das ist kein Pferd“.
„Doch. Es wurde in deiner Pferdezeitschrift angeboten, also muss es ein Pferd sein.“
„Es hat zu lange Haare für ein Pferd. Und der Hals ist zu lang.“
„Du bist so fies. Das ist sein Winterfell! Und ich find den Hals schön. Das ist mein Pferd, ich will dieses und nur dieses. Du hast Mulsipper“.
„Ich habe Mulsipper nicht, er wohnt bei uns. Ausserdem passt er aufs Baby auf und macht die Wäsche!“
„Dackel Albrecht kann auch auf das Baby aufpassen!“
Hinter meinem Mann schüttelt die Lama-Ziege entschieden den Kopf. Das kann ja heiter werden.
Erschöpft sinke ich am Esstisch zusammen und beginne mit dem Plastiklöffel den Rest vom Pampf direkt von der Tischplatte und aus Baby-Babys Haaren zu essen. Mulsipper schnaubt noch einmal zutiefst beleidigt, zieht dem Baby dann mit dem Maul das Lätzchen aus und stapft mit ihr, ohne mich noch eines weiteren Blickes zu würdigen, ins Badezimmer um die Kleine zu waschen und zu wickeln. Scheinbar mag er Dackel Albrecht nicht besonders.
Ich ziehe die noch offene Pferdezeitschrift zu mir heran und beginne damit, die Seiten nach günstigen Stallangeboten zu durchblättern. Auf dem Balkon singt mein Mann seiner neuen Lama-Ziege liebevoll Schlaflieder…
Oh, ich will unbedingt wissen, wie es weitergeht. Es kann gar nicht genug Geschichten mit Tieren als Mitbewohnern geben. Ich wollte übigens schon mit drei unbedingt das Kamel aus dem Zoopark Jaderberg mit nach Hause nehmen. Deshalb ist die Geschichte lange überfällig. Kannst du mir nicht jede Woche eine Fortsetzung in mein BLog schreiben?