Nachschlag zum Thema Mutter und Kind

Nach einer Folge „Top of the Lake“ in der letzten Woche wollte ich noch etwas weniger Aufregendes sehen und legte „Philomena“ in den DVD-Player. Eine ältere Dame sucht nach 50 Jahren ihren Sohn, der ihr damals als junge ledige Mutter von irischen Nonnen weggenommen und an reiche Amerikaner zur Adoption verkauftPhilomena wurde. Der Film basiert auf einer wahren Geschichte, die der Journalist Martin Sixsmith in dem Buch „The Lost Child of Philomena Lee“ erzählt. Es gibt ähnliche Elemente in beiden Stories: In „Top of the Lake“ wurde die Polizistin Robin als 15-Jährige von vier Männern vergewaltigt und ihre katholische Mutter besteht darauf, dass sie das Kind, mit dem sie daraufhin schwanger wird, austrägt und zur Adoption freigibt. Ungewollte Schwangerschaft und Trennung der Mütter von ihren Kindern sind bewegende Themen, zumindest für ein weibliches Publikum, doch „Philomena“ entlässt uns nicht mit einen Gefühl der Verunsicherung, wie es „Top of the Lake“ tut. Die Nonnen handeln verwerflich: Was Philomena Lee und ihrem Sohn angetan wurde, ist so schlimm wie die ausgedachte Gewalt in „Top of the Lake“, aber es gibt hier eine Öffentlichkeit, vertreten durch den Journalisten Martin Sixsmith, die auf Philomenas Seite ist: Das Schlachtfeld der Gefühle ist am Ende aufgeräumt, da muss die Zuschauerin nicht mehr selbst Hand anlegen, wenn der Film vorbei ist. Das macht den Unterschied.

Fazit: „Philomena“ sollte sich ansehen, wer Gefühl und britischen Humor präsentiert von dem großartig spielenden Duo Judi Dench und Steve Coogan genießen möchte.

Veröffentlicht unter Allgemein | Verschlagwortet mit , , , , , , | Ein Kommentar

Am See

Top of the lakeTop of the Lake“ macht süchtig, die Serie von Jane Campion und Gerard Lee von 2013 zeigt in 6 Teilen ein von gewalttätigen Männern und abhängigen Frauen besiedeltes Seengebiet in Neuseeland. Es geht um Frauen, die vergewaltigt werden, Männer, die alle, bis auf einen, unter einer Decke stecken. Der Oberrauschgiftkocher, der Boss, ist ein Sadist und schmiert die Polizei. Ich will eigentlich gar nicht wissen, dass es so eine Welt gibt, obwohl die Natur in überwältigend schönen Bildern einen seltsamen Gegensatz zur verkommenen Dorfgemeinschaft bildet. Aber da ist dieses 12 –jährige Mädchen, das erst versucht, sich im eiskalten See zu ertränken, im fünften Monat schwanger, und dann verschwindet. Und damit zappel ich an der Angel, will wissen, wie es für sie ausgeht, obwohl ich mich nach dem Ende einer Folge immer ängstlicher als vorher fühle. Das mag ich nicht, aber um des Mädchens willen und weil mich das skurrile Frauencamp um den weiblichen Guru GJ (Holly Hunter) am Ufer des Sees fasziniert, halte ich durch. Ein Serienerlebnis mit Nachwirkung. Mädchen und Polizistin werden am Ende gewinnen, ein Krimi after all, aber es ist ein düsterer Sieg, sie bleiben Gezeichnete.

Fazit: “Top of the Lake” ist gut, wenn es etwas Hartes sein soll, weil das Leben nicht immer schön sein kann und etwas Weiches, wie es 12-Jährige verdient hätten und vielleicht bekämen, wenn sie nicht in einem Drogenkrimi schwanger würden.

 

Veröffentlicht unter Allgemein | Verschlagwortet mit , , , | 3 Kommentare

Grusel

Ich höre Stephen KingsOn Writing“. Im ersten Teil erzählt er von einigen Kindheitserlebnissen, in denen seine scheinbar sichere Welt ihm plötzlich äußerst schmerzhafte Erfahrungen zufügt, so wie der Arzt, der ankündigt, er werde ihm nicht weh tun ihm danach mit einer langen Nadel das Trommelfell durchsticht. Nichts wirklich Traumatisierendes schildert er, erwähnt aber, dass er den Unfalltod eines Freundes miterlebt haben muss, ohne sich später daran zu erinnern. Er schildert seine ersten Erfolge und Misserfolge als Schreiber und wie er, sobald er alt genug war ins Kino zu gehen, Fantasy, Science Fiction und Horrorfilme bevorzugte und zusammen mit seinem Freund jede Woche in ein entfernt liegendes Kino fuhr, um sie zu sehen. Welche Erlebnisse für seine Vorliebe für Horrorgeschichten verantwortlich waren, darüber können wir nur spekulieren, seine eigene Auswahl an Erinnerungen, die er seiner im zweiten Teil folgenden Anleitung für angehende Autoren voranstellt, legt nahe, dass er diese Erlebnisse für bedeutsam für seinen Werdegang als Schriftsteller hält.

Drehort von The Fog

 

Ich mag keine Horrorgeschichten, jedenfalls keine, die schlecht ausgehen. „The Fog – Nebel des Grauens“ ist mit seiner deutlich vorhersehbaren Dramaturgie das Maximum, das meine Nerven ertragen. Aber das ist wohl kein grundsätzlicher Unterschied zwischen mir und Stephen King Fans sondern nur eine Frage der Dosierung. Als Fünfjährige zogen uns einige unbewohnte Häuser in der Gegend unwiderstehlich an. Es waren Hexenhäuser und wir waren nie sicher, ob die Hexe noch dort wohnte. Manchmal reichte unser Mut nur bis zum Gartenzaun und wir beobachteten und umkreisten das Haus und suchten nach Hexenzeichen. Kein wirkliches Grauen und kein überraschender Schmerz brachen damals in mein behütetes Leben ein und bis jetzt halte ich das auch so mit dem fiktiven Horror, der da draußen auf mich wartet. Ich bevorzuge Gruseln in kleinen wohldosierten Dosen, wie ein feines Gewürz, das dem Gericht noch den letzten Pfiff gibt. Stephen King wird wohl nicht mehr zu meinem Lieblingsautor.

Veröffentlicht unter Allgemein | Verschlagwortet mit , , , | 4 Kommentare

Das Gefühl der Verlassenheit

Das Gefühl der Verlassenheit, immer wenn eine Geschichte endet, deren Figuren eigentlich weiter zu meinem Leben gehören sollten. „The Silkworm“ ist zu Ende. Ich werde ohne Cormoran Strike und Robin sein. Vor allem ohne Cormoran, er wird mir fehlen.

SilkwormCormoran, dem es meistens schlecht geht, der definitiv schlechter dran ist als ich, was etwas Tröstliches hat. Es ist doch immer alles eine Frage des Bezugsrahmens. Cormoran hat ein Bein in Afghanistan gelassen und dauernd Probleme mit dem Stumpf und der Prothese. Seine große Liebe hat ihn verlassen und er haust in einer winzigen kalten Dachwohnung über seiner Detektei, die ihn gerade so über die Runden bringt. Cormoran, der Gute, der den Richtigen hilft, denen, die ihn als Privatdetektiv brauchen, nicht nur denen, die gut zahlen. Cormoran, der tough ist, an dem ich mir ein Beispiel nehme, wenn ich denke: „das ist nicht zu schaffen“. Cormoran, mit dem ich mich gerne alle zwei Wochen zum Stammtisch treffen würde. J.K. Rowling alias Robert Galbraith kann solche Figuren.

Ich werde eine Trauerphase einhalten, um den Verlust zu verarbeiten und zu akzeptieren, bevor ich das nächste Hörbuch beginne.

Veröffentlicht unter Allgemein | Verschlagwortet mit , , , | Kommentare deaktiviert für Das Gefühl der Verlassenheit

Walt Disney stellt die Ordnung wieder her

In dem Film „Saving Mr. Banks“ erzählt Tom Hanks als Walt Disney Emma Thompson als P.L.Travers von seiner Kindheit und sagt zu ihr: „Ich bin es leid, mich auf diese Weise daran zu erinnern.“ Und sich auf die geplante Verfilmung von Travers Buch „Mary Poppins“ beziehend: „George Banks wird erlöst werden, vielleicht nicht in Wirklichkeit, aber in der Fantasie….Wir stellen die Ordnung wieder her, mit Fantasie“.

Egal, ob er das zur wirklichen P.L.Travers je gesagt hat und egal, ob der Film für Travers die Bilder aus ihrem Buch wohl eher in Unordnung gebracht hat – sie war kein Disney Fan – der fiktive Disney sagt hier auf seine „küchenpsychologische“ Weise trotzdem das Entscheidende: Wir haben einen inneren Maßstab, wie die Dinge sein sollten, hätten sein sollen und Fiktion gibt uns die Chance, die Welt so zu erleben, wie sie unserer inneren Ordnung entspricht. Und, weil uns Elemente in den Filmen und Büchern an uns und unser Leben erinnern, an unsere Ängste und Herausforderungen, an unsere Hoffnungen und Träume, können wir damit auch unser Leben ein wenig aufräumen.
Was wir mit Fiktion bearbeiten, sind nicht die Fakten in unserem Leben, sondern das Gefühl dazu. Die Fiktion arrangiert die „Fakten“ neu, damit das passende Gefühl entstehen kann.

Der Film „Saving Mr. Banks“ erzählt uns, wie eine sehr unglückliche Frau durch ein Happy End in dem Film, zu dem sie das Buch schrieb, Frieden mit dem frühen Alkoholtod ihres geliebten Vaters machen kann. Und wie es Walt Disney am Ende doch noch gelingt, ein Versprechen zu halten, das er seinen Töchter vor 20 Jahren machte. Ein Versprechen gehalten, ein Alkoholiker und Banker gerettet vor der Ödnis seines Berufes, das bringt auch ein wenig mehr Richtigkeit in unser Leben. Die Amish People nennen die in ihrer Gemeinschaft geltenden nicht niedergeschriebenen Regeln für richtiges Verhalten und ein richtiges Leben „Die Ordnung„. Selbst diese Ordnung ist beständiger Anpassung an eine sich verändernde Welt unterworfen. Mit der Justierung unserer inneren Ordnung sind wir wohl ein Leben lang beschäftigt.

Veröffentlicht unter Allgemein | Verschlagwortet mit , , , | Ein Kommentar

Känguru und Gattopard

Wieder die „Zeit“, diesmal ein Artikel vom 22. Januar 2015 betitelt mit der Forderung: „Schönheit muss man lernen“. Es geht darum, ob in der Schule vornehmlich Nützliches: „Wie mache ich meine Steuererklärung?“ oder Schönes: „Die Kunst der Fuge“ gelernt werden sollte, oder ob nicht gar das Unnütze möglicherweise nützlich sei.

Il Gattopardo - Film 1963

Der Schule längst entwachsen muss ich mein Bildungsprogramm selbst zusammenstellen. Ich will Schönheit lernen und nebenbei noch Italienisch, deshalb höre ich den Gattopardo in der italienischen Originalfassung im Auto, wunderbar gesprochen von Toni Servillo. Das ist schön aber auch recht anspruchsvoll, deshalb gibt es alternativ ein Kontrastprogramm: „Die Känguru Offenbarung“, das dritte („die Fortsetzung von der Fortsetzung“) Buch über das kommunistische Känguru, das eines Tages bei Marc-Uwe einzog.

Mit der Kombination beider Hörbücher je nach Stimmung, äußeren Umständen und Konzentrationsvermögen gelingt es mir, auf utilitaristische Weise Schönheit zu lernen nach der Prämisse: „Höre so, dass das größtmögliche Glück entsteht“.

„Was bedeutet das konkret?“, würde Marc-Uwe jetzt fragen. „Wenn ich müde in Dunkel und Dauerregen von der Arbeit nach Hause fahre und an dem Tag eine traurige Nachricht erhalten habe, brauche ich nicht auch noch die ausführlichen Betrachtungen zum Sterben und zur Schönheit des Todes von Don Fabrizio zu meinem Glück,“ sage ich, „die heb ich mir dann lieber für einen sonnigen, ausgeschlafenen Morgen auf“. Da schalte ich um in das asoziale Netzwerk auf Reisen, erfreue mich an klug gefälschten Zitaten, blöden Wetten, witzigen Dialogen und einem unverwüstlich weltverbessernden Känguru. Um dann wieder den Kopf frei zu haben für die detailverliebte Schilderung sizilianischer Paläste und Kunstschätze eingebettet in die Geschichte des Untergangs eines Adelsgeschlechtes.

Fazit: Gattoparden helfen beim Italienisch Lernen und beim Verständnis für die Bedeutung von höflichen Umgangsformen oder auch, wenn man nur einfach 10 Stunden schönes Italienisch hören will. Kommunistische Kängurus helfen gegen Weltschmerz, gegen „ist doch alles sinnlos“ und wenn man wissen will, wie gute Dialoge gehn.

Veröffentlicht unter Allgemein | Verschlagwortet mit , | 2 Kommentare

Tempokorrektur

Norwegen 1. Advent: 200 Chöre singen in der Kirche die 899 Lieder des Gesangbuches und das Fernsehen überträgt es von Freitagnachmittag bis Sonntagabend. Das Zeit Magazin vom 17. Januar 2015 nennt das Weltflucht-TV. Ist es das?

Oder ist das vielleicht die Korrektur von Etwas? Ein sich Besinnen? Ein Innehalten? Dem Rasen etwas entgegensetzen? Ein Statement zum Thema Zeit? Die Reduzierung der Bilder auf Menschenmaß? Es hat etwas Monogames: über Stunden, Tage nur eine Sendung im zweiten Programm und das ist nicht Game of Thrones. Auch etwas Rebellisches: „Ihr kriegt mich nicht dazu, durch mein Leben zu hetzen.“ „Ich lass mich nicht weiter optimieren, trage auch kein Fitnessarmband und schere mich nicht drum, dass mein Leben endlich ist.“

Macht das den Erfolg des Sakte-TV, des Slow Television in Norwegen aus? Und wie viele von den 134 Stunden Dampferfahrt auf den Hurtigruten würde ich mir im Fernsehen ansehen? „Minutt for minutt“, wie die Norweger zu sagen pflegen.

Vielleicht fange ich lieber mit einem Buch oder einem Film über Leute an, die ein Leben führen, in dem Raum für tagelange Echtzeitübertragungen vom Pullover stricken oder Kaminfeuer ist. Sehnsucht nach einem solchen Leben hätte ich schon. Da merke ich auch gleich den Unterschied zwischen dem Zeitungsartikel und einer Geschichte.

Die Geschichte bräuchte ich jetzt, um mir ein Leben vorstellen zu können, in dem ein Fernseher in der Küche steht und ein anderer bei der Arbeit – nachts in der Tankstelle – und beide, die Tankwartin auf Nachtschicht und ihr Vater auf Rente sehen aufs Meer …oder hören Lied 821 aus dem Gesangbuch (da müssten wir irgendwo bei Allerseelen angekommen sein) und ihre Seelen wandern …und mir fällt der Anfang des dritten Teils von Fluch der Karibik ein, als ein Ausrottungsversuch gegen die Piraten unternommen wird und sie, wie am Fließband, in 7er Reihen gehängt werden und ein kleiner Junge, während er dafür ansteht beginnt das Lied zu singen, in das alle einstimmen, das Lied, das den Tod nicht aufschiebt und doch alles verändert.

Wenn viele gleichzeitig 8 Stunden eine Slow-TV Sendung sehen und vielleicht noch darüber sprechen, live oder auf Facebook, verändert das auch was? Schafft Gemeinschaft, ein Teilen von Werten? Im World Happiness Report 2013 lagen die Norweger auf Platz 2 hinter den Dänen.

Veröffentlicht unter Allgemein | Verschlagwortet mit , , , | 2 Kommentare

Das Leben ist kein Ponyhof

Am Samstagabend wird Oma ein kleines Pony in den Kindersitz geladen. Das will bei der Oma übernachten und am nächsten Tag Abenteuer mit ihr erleben. Aber die Abenteuer gehen schon gleich los. Es ist dunkel draußen und überall lauern Monster, die es zum Glück nicht ins Auto schaffen. Zuhause angekommen darf das kleine Pony ein Geschenk öffnen Drin ist ein kleiner Drachen, der fliegen und Feuer spucken kann. Das ist zu gefährlich für das kleine Pony, dass sich flugs auch in einen kleinen Drachen verwandelt, der im Sturzflug die Oma angreift. Mambo heißt der Drachen. Vor dem Einschlafen verwandelt sich Mambo noch in den kleinen Fuchs. Draußen im Garten könnte der große Fuchs lauern. Den hat die Oma da mal gesehen, das hat er sich gemerkt.Frühstücken darf die Oma am nächsten Morgen zusammen mit dem kleinen Tyrannosaurus Rex, der großen Hunger hat und Fisch und Wurst und Nutella möchte.Jetzt ist es Zeit für ein kleines Abenteuer, denkt die Oma und setzt den kleinen Tyrannosaurus hinten aufs Fahrrad. Aber nein, es ist das kleine Wildschwein, was da hinten im Fahrradsitz thront, es geht ja in den Wald, wo die andern Wildschweine wohnen, und die Oma soll bitte sicherheitshalber die grüne Jägerjacke anziehen und das Gewehr mitnehmen. Auf gehts! Im Wald finden sich tatsächlich viele Wildschweinspuren, die Wiese neben dem Weg ist praktisch umgegraben.Im Auto auf der Rückfahrt zu Mama und Papa sagt Littlefood dann noch: „Ich glaube, die Oma wollte keinen kleinen bösen Drachen einladen, der stand einfach vor der Tür, als sie die Tür aufgemacht hat.“ „Und was machen wir jetzt? Schicken wir ihn weg oder darf er dableiben?“ „Er darf dableiben,“ entscheidet das kleine Pony.Nach einigem Nachdenken sagt es dann noch: „Wenn ein böser Drache in die Sonne fliegt: megaheiß.“

Am Abend lese ich im Blog von Jonathan Gottschall einen Beitrag zur Frage, ob Gewaltdarstellung in Fiktion zu verstärkter Gewalt im normalen Leben führt. Er ist nicht der Meinung und führt unter anderem an, dass die Spiele von Kindern alles andere als gewaltfrei sind, was mir das Wochenende mit meinem Enkel soeben bestätigt hat. Es sieht so aus, als sei die beste Möglichkeit für ihn, mit den Gefahren da draußen umzugehen, sich in die Kindervariante der jeweiligen Bedrohung zu verwandeln. Eltern greifen ihre Kinder nicht an, da ist der kleine T-Rex auf der sicheren Seite. Was mich als Erwachsene allerdings erstaunt, ist das fast vollständige Fehlen von Moral und Mitleid, wenn es darum geht jemanden zu erschießen oder aufzufressen. Gottschall führt an, dass in fiktionaler Darstellung von Gewalt fast immer Moral eine Rolle spielt, und dass die Moral der Rezipienten wahrscheinlich dadurch gefestigt und bestärkt wird.

Vermutlich muss mein kleiner Drache noch durch ziemlich viele Geschichten, bis er sich dauerhaft auf die Seite der Guten schlagen kann.

Fazit: Sich in Tierkinder zu verwandeln hilft gegen Angst vor großen Tieren, so wie mit dem Inspektor zu wandeln gegen die Sorge hilft, von Kriminellen um Hab und Gut, Gesundheit oder Leben gebracht zu werden.

Veröffentlicht unter Allgemein | Verschlagwortet mit , , | 6 Kommentare

Filme über alte Leute 1 – Le Weekend

In letzter Zeit passiert es mir immer öfter, dass ich mit Vergnügen und Anteilnahme Filme über alte Leute ansehe: Quartett, Another Year, Young@heart und zuletzt Le Weekend. – Keine deutschen Filme, die Leute sind so ungefähr in meinem Alter, da muss ein wenig Distanz sein.

Was haben diese Filme zu bieten? Wiedererkennen, Identifikation für uns nicht mehr Junge, der Trost: so schlimm ist doch gar nicht, das älter werden? Le Weekend versucht es mit Humor und doch ist es ziemlich schlimm. Kaum auszuhalten wie Nick und Meg ihre Ehe zugrunde richten um dann doch immer wieder routiniert neuen Anlauf zu nehmen. Und das in Paris, die von der Stadt der Liebenden zumindest für Nick zur ausgefuchsten Maschinerie mutiert, ihn seiner letzten Ersparnisse zu berauben. Denn seine Frau hat das kleinliche Sparen satt, will noch mal leben. Beachtlich, wie wenig Fassade Meg und Nick über Fleisch und Gerippe ihrer 30-jährigen Ehe gebaut haben. Was wir sehen, was sie sich und uns zeigen, verspielt und schauspielerisch von Jim Broadbent und Lindsay Duncan präzise umgesetzt, deckt nichts zu, im Guten wie im Schlechten. Und ziemlich schlecht wird es dann auf einer Party bei einem Ex-Kommilitonen von Nick, der jetzt als erfolgreicher Schriftsteller mit frischgebackener, blutjunger Ehefrau in Paris lebt. Alles, was dort versammelt ist, erfolgreiche Künstler und Akademiker, führt ihnen vor Augen, dass sie es nicht in diese Liga geschafft haben. Als Nick als Antwort auf eine Tischrede seines Gastgebers sprechen soll, präsentiert er der peinlich berührten Gesellschaft die Zusammenfassung seines gescheiterten Lebens. Das hat eine solche Wucht, eine solche Größe, kein Versuch etwas zu beschönigen, dass alle betreten dasitzen, als er fertig ist. Die eigentliche Botschaft aber geht an seine Frau, die ihm angekündigt hatte, ihn am selben Abend mit einem der Anwesenden zu betrügen: sie kriegen mich nicht dazu, mir selbst untreu zu werden. Und die Botschaft kommt an: Meg erzählt der schweigenden Tischgemeinde von einer kleinen Szene, die zeigt, dass sie diesen Mann liebt. Dann gehen beide zusammen ohne ein weiteres Wort.

Und ich bin nicht nur getröstet, sondern euphorisch wie sie: „Das war genial“, sagt sie, „wie hast du das gemacht?“ „Ich habs eben immer noch drauf,“ sagt er. Nirgendwo, außer vielleicht bei den anonymen Alkoholikern ist das Scheitern so akzeptabel wie im englischen Film. Und da ist es viel komischer.

Fazit: Le Weekend hilft beim Älterwerden, Hochzeitsjubiläen > 20, Ehemüdigkeit, Wechseljahresbeschwerden beim Mann, missratenen Kindern, die wieder zuhause einziehen wollen und Wochenendkurztripmüdigkeit.

 

Veröffentlicht unter Allgemein | Verschlagwortet mit , , , , | 6 Kommentare

Mit Ubongo ins neue Jahr

Vincent hatte es im Spieleschrank entdeckt und mit auf die Silvesterparty gebracht: Hochzeit Kaye & Kay 45Ubongo 3D. Er setzte sich still damit aufs Sofa und begann eins von den Puzzles zusammenzusetzen oder es zumindest zu versuchen. Der Erste fragte: „Was machst du da?“ und versuchte auch so eins. Binnen kurzem, waren alle mit Puzzeln beschäftigt bis auf den Koch und seine treue Küchenhilfe und sie hörten für die nächsten Stunden nicht wieder auf. Silvester hin, Silvester her. Die Verführung liegt darin, dass es so leicht aussieht. 3 oder 4 Teile und einfache Formen, die aus Kuben zusammengesetzt werden. Du denkst, das mach ich mit links. Mit links ist ist vielleicht auch gar nicht der verkehrte Ansatz. Der Thrill ist die relativ kurze Spieldauer bis der Erfolg einsetzt. In der Regel braucht man nur wenige Minuten und erhält dann etwas Glattes, Kompaktes, Zweistöckiges auf einer Grundfläche von 7 bis 8 Quadraten. Die einzelnen eher komplexen Tetris 3D Teile fügen sich in ein einfaches Muster, das liebt das Gehirn. Da schüttet es Glück aus. Und um die Lösung zu finden, auf dem Weg zum Glück, muss man sein Denken weit machen, muss logische Strukturen mit kreativen Ansätzen verbinden. „Ich mach das jetzt mal ganz anders“, ist der Schlüssel, meistens jedenfalls. Wenn das nicht funktioniert, wird das Finden der Lösung vorübergehend zum Lebensinhalt.
Ich frage mich: was hat das mit Fiktion zu tun? Suche wieder Muster. Beide Tätigkeiten, das Surfen in fiktionalen Welten und Ubongo geschehen zum Vergnügen, verändert nichts an der realen Welt und bei beidem spielt die Sucht des Gehirns nach Mustern eine Rolle. Bei Geschichten sind es vertraute dramaturgische Muster, denen die Mehrzahl der Geschichten folgt. Das Bilden dieser Muster aus den Fragmenten des Lebens, ist das, was in Geschichten passiert und was für uns Genregeschichten wie Kriminal- oder Liebesromane, aber auch dramatische Formen wie Komödie oder Tragödie und Kinogenres wie die romantische Komödie, den Katastrophenfilm oder Western so attraktiv macht.
Unsere Suche nach sinnvollen Mustern hätte uns fast den Beginn des neuen, komplexen, bislang noch recht unübersichtlichen Jahres verpassen lassen. Wir schafften es gerade noch, mit einer Flasche Sekt und den Wunderkerzen hinaus in die Schweizer Bergwelt, wo wir unter sternenbeglänztem Himmel das Jahr 2015 begrüssten.

Fazit: Ubongo 3D hilft dabei, alles rundherum zu vergessen, nichtspielende Angehörige ernsthaft zu verärgern und hilft darüber hinaus bei Bedarf nach Glückshormonen im 5 Minuten Takt.

Veröffentlicht unter Allgemein | Verschlagwortet mit , | 3 Kommentare